Erfahrungsberichte aus dem Ehrenamt

Die letzte Wegstrecke - Begleitungen im Hospiz und in privater Umgebung (Auszug aus einem Erfahrungsbericht)

Warum hast du dich für die Arbeit im Hospiz und die Begleitung von Sterbenden entschieden?“ Diese Frage wird mir oft gestellt. Und auch: „Warum genießt du nicht einfach dein Leben? Wie verkraftest du den Tod der Menschen, die du begleitest? Was macht all dies Leid mit dir?

Was kann ich antworten, wie meine Beweggründe für meinen Einsatz für sterbende Menschen erläutern? Vor einiger Zeit konnte ich meine Eltern auf ihrem letzten Weg begleiten. In unserer Familie war - als gäbe es kein Ende des Lebens - nie über den Tod gesprochen worden. Ich bin froh, dass ich bis zum Schluss bei ihnen sein konnte. Es wurde für mich deutlich spürbar, wie dankbar sie waren, nicht allein sein zu müssen, und wie wichtig dies auch für mich war.

Bereits da reifte in mir der Gedanke, auch für andere Menschen in der letzten Phase ihres Lebens da sein zu wollen. Seit einer Fortbildung zur Hospizbegleiterin habe ich in den zurückliegenden fünf Jahren im Hospiz wie auch in der Hospizambulanz Menschen unterschiedlichsten Alters und ihre Angehörigen begleitet - für eine kurze Zeit, über mehrere Wochen oder Monate.

Jede neue Begleitung machte mir bewusst, wie wertvoll es ist, verbleibende Lebenszeit gut begleitet verbringen zu dürfen. Dass meine Begleitungen auf die letzte Wegstrecke zum Ende des Lebens hin ausgerichtet sind, war mir von Beginn an klar. Trotzdem konnte ich immer offen und ohne Bedenken auf die mir anvertrauten Menschen zugehen.

Wenn ich auf meine bisherigen Begleitungen zurückschaue, kann ich sagen, dass mich alle bereichert und meine Einstellung zum Sterben verändert haben. Etwas hatten dabei alle gemeinsam – die Menschen ließen sich in ihrer persönlich so schweren Situation auf mich, eine ihnen zunächst fremde Person, ein und schenkten mir ihr Vertrauen.

Ich war immer wieder tief davon berührt, wie sich die von mir Begleiteten in den Gesprächen öffneten und welch vertrauensvolle Nähe entstand. Sie ließen mich in die Tiefe ihrer Seele blicken und erzählten mir von ihren Ängsten. Zuhören – Da-Sein - Trost spenden, Ängste und Gedanken wahrnehmen und mittragen, alle Fragen zulassen, das Leben des Menschen mit den Höhen und Tiefen kennenlernen – darum geht es, wenn ich jemanden auf der letzten Wegstrecke begleite.

Wie stehe ich selbst zum Sterben und Tod? An was denke ich, was glaube ich und was macht mein Leben aus? Auch diese Fragen wurden mir oft gestellt. Ich antworte dann mit Offenheit und Ehrlichkeit. So sorge ich für ein aufrichtiges Miteinander in der Begleitung und trage im privaten Umfeld dazu bei, das Thema Sterben aus der Tabuzone zu holen. Doch es gibt nicht nur die traurigen und ernsten Zeiten bei einer Begleitung, sondern auch helle und fröhliche Momente.

Jede meiner Begleitungen hat mich tief berührt, aber keine hat mich verzweifeln lassen. Das Bewusstsein, gerade in diesen Momenten für diesen Menschen intensiv da zu sein, war immer tröstlich. Jede Begleitung hat andere Anforderungen gestellt, aber alle haben mich in meinem Umgang mit dem Sterben  weitergebracht.

Alle, die ich auf ihrem Weg begleiten durfte, haben mich reich beschenkt. Ihre Offenheit und ihr Vertrauen in mich, der gegenseitige respektvolle Umgang und die Art und Weise, wie sie mit dem Sterben und dem nahen Tod umgegangen sind, waren für mich Impulse, auch über meinen eigenen letzten Weg nachzudenken.

Die Begleitungen gut für mich zu bearbeiten und die positive Seite des Erlebten zu sehen, gelang mir bisher immer. Mich auf Sterbende einzulassen, ist für mich eine ganz natürliche Aufgabe geworden, die ich immer wieder gerne annehme.

In meinem Herzen verbleiben alle, die ich begleiten durfte, als wertvolle Weggefährten meines Lebens und ich wünsche mir, dass auch ich Menschen finden werde, die mir einmal auf meinem allerletzten Weg zur Seite stehen. Mein Dank gilt all denen, die ich bisher begleiten durfte - und ihren Angehörigen, die offen waren für mich – einen Menschen, den sie vorher nicht einmal kannten.

Christine Franke,

ehrenamtliche Hospizbegleiterin

Was macht den Menschen aus? Erfahrungsbericht aus einer Begleitung

„Was macht den Menschen aus? Seine jeweils eigene, unverwechselbare Identität und Individualität? Wir möchten es gerne Seele nennen, können diese aber nur schwer fassen. Annähern können wir uns über das, was wir sehen können, seine Taten und Handlungen, seinen Lebenslauf. Aber wie hat er, dort wo er war, gelebt? Was hat er, dort wo es möglich war, in freier Entscheidung aktiv gestaltet? Und wie hat er, dort wo es nötig war, auf äußere Ereignisse und Umstände reagiert, sich verhalten?“

Einkehr mit Bier

So habe ich eingangs gefragt bei meiner Trauerrede bei Günthers Beerdigung. Und manchen Hinweis zu seiner Person konnte ich geben nach einer vergleichsweise langen Begleitung von fast anderthalb Jahren.

Ziemlich zu Anfang der Begleitung hat Günther überrascht mit einem unerwarteten und Gott sei Dank ziemlich dilettantisch ausgeführten Selbstmordversuch. Es war ein Moment der Schwäche, wohl aus der Motivation heraus, seiner Frau nicht weiter Last sein zu wollen.

Noch auf der Intensivstation liegend, versicherte er mir schon, dass das „Blödsinn“ gewesen sei. Zumal er sich aufgrund der Reaktion seiner Umwelt doch weitaus mehr geliebt wissen durfte, als er das in seinen dunklen Momenten vielleicht zu ahnen meinte.

Uns verband die Freude am Gedankenaustausch im angenehmen Kleid des südhessischen Dialekts. Auch tranken wir schon mal gern ein Bier dazu. Das führte bald zu Ritualen. Und so fuhr ich ihn donnerstags, wenn es das Wetter zuließ, mit seinem Rollstuhl in eine der drei oder vier Kneipen in der Bensheimer Innenstadt, die eine Behindertentoilette aufweisen. Es war aber auch kein Problem bei ihm zu Hause zu sitzen. Der Gesprächsstoff ging uns nicht aus.

Und hier lag wohl auch der Kern unserer Beziehung. Ich interessierte mich für ihn und er interessierte sich für mich, jeweils als Person, aber darüber hinaus auch als Vertreter einer anderen Generation. So konnten wir beide voneinander lernen und unseren jeweiligen Horizont erweitern.

Günther spielte und experimentierte auch gern. Da war zum Beispiel jene alte Dame, die so pedantisch war, dass sie immer zur selben Zeit einkaufen ging, sodass wir sie donnerstags auf unserem nachmittäglichen Jour fixe unweigerlich treffen mussten. Jedes Mal zog er sie ins Gespräch und suchte sie mit neuen Argumenten zu bezirzen, ihn doch einmal zu besuchen, zumal sie ja in unmittelbarer Nachbarschaft wohne. Und jedes Mal, wenn sie vorbeigegangen war, sagte er: „Die is steif“ und „Die kimmt nie“. Und er sagte das mit der Miene eines Taschenspielers, der gerade ein Ass aus dem Ärmel gezogen hat.

Mein Eindruck war, dass er nach dem Selbstmordversuch noch einmal aufgeblüht ist, sich der Kostbarkeit des immer kürzer werdenden Restes seiner Zeit auf Erden bewusst wurde und im Rahmen des Möglichen das Beste daraus machen wollte. Und das hat er dann auch getan. Seine Frau und einige gute Freunde haben ihm dabei geholfen.

Am Ende meiner Gedenkrede an Günthers Grab konnte ich folgendes Resümee ziehen:
„Was mich am meisten beeindruckt hat:

  • die Neugier bis zum Schluss,
  • die Kraft und der Wille, sich immer wieder neu auf eine sich verändernde Lebenssituation einzustellen,
  • das Fehlen jeglicher Weinerlichkeit, sein Humor und die Fähigkeit zur Selbstironie.

Der eine Moment der Schwäche, der auch da war, ändert das Bild nicht.“

Ein halbes Jahr später starb meine Mutter. Zu ihrer Beerdigung kam auch Somjai, Günthers Frau. Sie hatte meine Mutter gar nicht gekannt. Ich glaube, sie tat es mir zuliebe.

Text: Martin Reeb, Foto: Marc Fippel Fotografie

Reich und demütig zugleich - über meine Erfahrungen als Hospizbegleiterin

Ich blicke auf 10 Jahre als ehrenamtliche Hospizbegleiterin im stationären Hospiz Bergstraße zurück. Meine Tätigkeit erstreckt sich auf zwei Stunden in der Woche. Ich habe meine Tätigkeit auf diesen zeitlichen Rahmen begrenzt, da ich 6 Enkelkinder habe und ich diesen, neben meinen anderen Aktivitäten, auch Zeit schenken möchte.

Zeit schenken

Zwei Stunden in der Woche für die Gäste im Hospiz! Schon oft habe ich mich gefragt: Nur zwei Stunden, das ist nicht viel? Doch sehe ich mich in einer besonderen Lebenssituation: Ich darf Menschen, die am Anfang ihres Lebens stehen und Menschen, die am Ende ihres Lebens stehen, ein Stück weit begleiten. Das betrachte ich als ein Geschenk, das mein Leben bereichert und ihm Sinn gibt. So sind es doch das kleine Kind und der schwerkranke Mensch, die unserer Hilfe und Zuwendung bedürfen.

Rodemarie Köppner

Zuwendung

Das bedeutet, ich wende mich im Hospiz diesen Menschen zu, indem ich für sie da bin. Da sein wiederum heißt, Zeit zu schenken, präsent sein, zuhören können, empathisch sein und vieles mehr.

Zehn Jahre Hospizbegleiterin im Hospiz

Ich halte Rückschau für mich ganz persönlich. Der wöchentliche ehrenamtliche Einsatz im Hospiz verläuft jedes Mal anders. Ich kenne meine Aufgabe, ich kenne die Gegebenheiten des Hauses, ich weiß, wo mein Platz in diesem Haus ist und ich freue mich immer, wenn ich das stationäre Hospiz betrete und meine ehrenamtliche Tätigkeit beginne.

Und doch ist es für mich immer wieder ein Neubeginn. Neubeginn deshalb, weil ich mich Woche für Woche auf die veränderte Situation im Hospiz einstelle. Das heißt, bei einem Gast, den ich vor einer Woche antraf, kann sich vieles verändert haben. Es ist ein Neubeginn auch, weil ich in mir Woche für Woche eine Veränderung erfahre. So frage ich mich jedes Mal, wenn ich das Haus betrete: Wie geht es mir heute physisch und psychisch? Was kann ich heute geben? Was bringe ich mit?

Wenn ich spüre, dass ich den Gästen gegenüber nicht präsent sein kann, so kann ich trotzdem zum Beispiel den Frühstückstisch abdecken, oder ich bin einfach da, wenn Gäste oder BesucherInnen Fragen haben. Ich kann auch in den Hospizgarten gehen und Blumenschmuck für das Haus besorgen.

Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an die Gäste, die mir vieles anvertraut haben, vieles offengelegt haben, sich ihrer Tränen nicht geschämt haben, ihrer Trauer Ausdruck gaben, auch Zorn und Wut zeigten.

Ich habe aber auch Menschen erlebt, die mit Dankbarkeit auf ihr Leben zurückschauten – Menschen, denen ich in all diesen Augenblicken sehr nahe sein durfte.

Ich schreibe diesen Bericht im Frühjahr, während wir alle gerade in der Corona-Krise sind. Ab kommenden Montag sind alle Schulen und Kitas geschlossen. Alle Aktivitäten, auch die außerschulischen, fallen auch für meine Enkelkinder weg. Meine Enkeltochter Melinda (8 Jahre) darf weiterhin am privaten Flötenunterricht teilnehmen. Ihr Bruder Samuel (5 Jahre) hat nun keine Aktivitäten außer Haus mehr und ist traurig darüber. Seine Mutter sagte zu ihm: „Sieh mal die Sonne scheint heute, ist das nicht schön?“ „Oh ja“, meinte er, „dann ist die Sonne mein Hobby“.

Wie oft habe ich im Hospiz Gäste erlebt, die kleine, unscheinbare Dinge und Begebenheiten des Augenblicks genießen konnten, z. B. dass ich mit einem Gast im Garten gemeinsam eine Blume betrachtete und wir uns an ihr erfreuen konnten.

Ein Gast, eine Frau, sagte mir nach einem 45-minütigen Gespräch, in dem auch viele Tränen geflossen sind, dass sie sich noch nie so geöffnet habe. Ich spürte die Nähe zu ihr und bedankte mich für das Vertrauen, das sie mir schenkte.

Es macht mich reich und demütig zugleich, dass ich all diese Erfahrungen, sei es mit meinen Enkelkindern oder mit den Menschen im Hospiz, erleben darf.

Text: Rosemarie Köppner, Foto: Marc Fippel Fotografie